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Die Welt aus der Känguru-Perspektive

Gemeindewahlen 2020: verschenkte Möglichkeiten

Auch bei den diesjährigen Gemeinderatswahlen hat es die SVP geschafft, mit 53,5% mehr als die Hälfte der abgegeben Stimmen auf sich zu vereinen (kleine Edelweiß-Listen mitgerechnet). Die deutschsprachigen Oppositionsparteien, die nur in den wenigsten Gemeinden überhaupt selbst oder mit einer verbundenen Bürgerliste angetreten sind, sollten ihre Strategie ändern, wenn sie langfristig auf Landesebene erfolgreich sein wollen.

Eine Parteistruktur mit Ablegern in allen Bezirken baut man nicht von heute auf morgen auf. Man benötigt Zeit, Energie, Ressourcen und am wichtigsten: politische Ideen, die zumindest für einen Teil der Bevölkerung anschlussfähig sind. Doch der Aufwand lohnt sich: Die in Jahrzehnten aufgebaute und vielbeschworene „Basis“ der SVP ist ein wichtiger Grund für die nach wie vor anhaltende Dominanz der Volkspartei.

Wo lokale Bürgerlisten zur Wahl angetreten sind, tun sie das meistens ohne parteiähnliche Strukturen, weil diese für ihren Erfolg nicht wesentlich sind. Nicht nur ihr Erfolg hängt daher von den Köpfen ab, die sie auf ihren Listen präsentieren können – auch die Organisation der Bürgerlisten basiert meistens auf informellen persönlichen Beziehungen von mehreren politisch interessierten Personen, die oft in erster Linie ihre Ablehnung der SVP-Dominanz eint.

Doch um auf Landesebene dauerhaft erfolgreich zu sein, braucht es Strukturen und ein institutionalisiertes politisches Netzwerk, das bis jetzt nur die SVP flächendeckend im ganzen Land aufgebaut hat. Der strategische Wert dieses Netzwerks bei den Wahlen auf Landesebene wird oft unterschätzt, weil es in der Südtiroler Erfahrung selbstverständlich scheint, dass die SVP in Südtirol so viele Stimmen erhält. Diesen Wert verkennen offenbar auch jene Parteien, die in weiten Teilen des Landes auf ein Antreten bei den Gemeindewahlen und damit auf den Ausbau ihres Netzwerks verzichtet haben.

Über Wählerpotential

Für jene Parteien, die sich praktisch ausschließlich an italienische Wähler*innen richten, mag das noch verständlich sein. Wie sich an der jeweiligen Zusammensetzung der Bevölkerung nach Sprachgruppe ablesen lässt, ist ihr Potential abseits der größeren Zentren und der Orte zwischen Meran und Salurn tatsächlich relativ eingeschränkt – zumindest solange die zum Teil selbst auferlegten ethnischen Beschränkungen aufrecht bleiben.

Weniger verständlich ist, warum auch die deutschsprachigen Oppositionsparteien im Südtiroler Landtag nur in wenigen Südtiroler Gemeinden zur Wahl angetreten sind. Natürlich ist es in vielen der kleineren Südtiroler Gemeinden, die seit Jahrzehnten von der SVP regiert werden, nicht gerade einfach, Frauen und Männer zu finden, die sich einer politischen Wahl stellen – nur um dann häufig genug fünf Jahre lang auf den harten Oppositionsbänken Platz zu nehmen und nicht mitgestalten zu dürfen.

Doch es lässt sich nicht abstreiten, dass ein gewisses Potential durchaus vorhanden wäre: Das beschränkte politische Angebot hat unter anderem dazu geführt, dass tausende Wähler*innen im ganzen Land ihre Stimmzettel erst gar nicht ausgefüllt und weiß abgegeben haben.

Wie schafft man eine Basis?

Die Volkspartei hat es vorgemacht: Wer im Gespräch mit den Leuten bleibt und auch lokale Probleme und Themen bearbeitet, schafft Möglichkeiten und Gestaltungsräume in den Orten und in den Köpfen, die nicht vorhanden sind, wenn man die politische Arena kampflos anderen überlässt.

Politische Netzwerke muss man pflegen, politische Anliegen in den Köpfen präsent halten – nicht nur durch Presseaussendungen und Zeitungsartikel, die aus den Bozner Parteizentralen im Gießkannenprinzip über das ganze Land gegossen werden, sondern auch durch die Präsenz vor Ort. 

Um vor Ort Erfolg zu haben, sind drei Voraussetzungen wichtig:

  1. Es ernst meinen.

    Die Menschen wollen nicht bevormundet werden, sondern ernst genommen und eingebunden werden. Wer nur auf Stimmenfang geht oder fertige Lösungen verkauft, wird schnell als Verkäufer wahrgenommen und abgelehnt.

  2. Pragmatisch sein.

    Wenn viele Menschen mitreden, braucht es gewisse Spielräume und einen pragmatischen Umgang mit der „Parteilinie“. (Das ist für eine Sammelpartei wie die SVP natürlich einfacher als für die Grünen oder die Süd-Tiroler Freiheit.) 

  3. Lokale Fragen aufgreifen.

    Politik findet in den Köpfen vieler Menschen weit entfernt von ihrem Alltag statt, weil sie nicht wahrnehmen, was in ihrer Umgebung alles auf politischen Entscheidungen beruht. Ob Flughafen oder günstiger Wohnraum, die Folgen des Klimawandels oder die Zukunft des Tourismus – in jedem Ort gibt es Themen, die aufgegriffen und inhaltlich wie politisch diskutiert werden können.

Wo anfangen?

Ein guter Anhaltspunkt für die einzelnen Parteien sind einerseits die Wahlergebnisse, die sie bei der letzten Landtagswahl erzielt haben: In Orten, wo sie überdurchschnittlich abgeschnitten haben, fällt es voraussichtlich leichter Fuß zu fassen. Andererseits haben Parteifunktionäre, die aus einem bestimmten Ort stammen, entscheidende Vorteile, Einblicke und Kontakte. (Häufig genug überschneiden sich diese beiden Kriterien.)

Wer immer noch nicht weiß, wohin er sich wenden soll, versuche es einmal in einer dieser Gemeinden: Barbian, Corvara, Enneberg, Kuens, Martell, Percha, Proveis, Rasen-Antholz, Riffian, Schenna, St. Leonhard i.P., St. Pankraz, Terenten, Ulten, Villanders. So unterschiedlich diese Gemeinden sind, haben sie doch eines gemeinsam: Bei den jüngsten Gemeinderatswahlen haben mindestens acht Prozent der Wählerinnen und Wähler sogar bei der Wahl des Gemeinderats (also nicht nur bei der Direktwahl des*r Bürgermeister*in, bei der die Quoten zum Teil noch deutlich höher waren) einen weißen Stimmzettel abgegeben. (Zum Vergleich: In den Städten mit mehr als 15.000 Einwohnern waren es überall zwischen 1,0% und 2,8%.)

Zusammengenommen gibt es in diesen 15 zum Teil sehr kleinen Gemeinden 1.526 Menschen, die politisch interessiert genug sind, um selbst dann zur Wahl zu gehen, wenn sie keine der angebotenen Alternativen überzeugt. Das sind mindestens 1.526 Menschen, die auf eine Alternative warten. Es ist kein Zufall, dass in jeder dieser Gemeinden nur die SVP auf dem Wahlzettel stand.