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Die Welt aus der Känguru-Perspektive

Lesen im Lockdown

In den Wochen der erneuten Ausgangsbeschränkungen und angesichts der bedrückenden Nachrichtenlage (wann war sie eigentlich das letzte Mal nicht bedrückend?) kommt manche*r auch mental an die Grenzen. Was dagegen hilft, wenn auch das Freizeitprogramm ohne Veranstaltungen und Zusammenkünfte stark reduziert ist: die richtigen Bücher.

Für die kommenden Wochen möchte ich gerne zwei Bücher empfehlen, die bei der Beschäftigung mit unserer Welt und unserer Gesellschaft ein wohltuendes Kontrastprogramm bieten zu Nachrichten von schlimmen Menschen, schlimmen Taten und schlimmen Zahlen.

Beide Bücher tun das nicht, indem sie die Wirklichkeit verleugnen und in Phantasiewelten entfliehen; sie nehmen im Gegenteil diese Wirklichkeit besonders genau unter die Lupe und stellen mit Sachverstand und mit Witz unsere bewussten oder unbewussten Urteile über die Welt in Frage, die sich so manches Mal als Fehleinschätzungen entpuppen.

Da diese Irrtümer die Welt und unsere Mitmenschen negativer erscheinen lassen, als sie eigentlich sind, sorgen beide Bücher mit ihrer Aufklärungsarbeit für einen ordentlichen Schub Optimismus – auch wenn dieser eigentlich Realismus heißen sollte, weil es schließlich keine optimistisch-verträumte Weltsicht ist, einfach die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

Ob Optimismus oder Realismus: Beides tut gut in Zeiten, die so sehr zur Panik und Überreaktion neigen, dass man manchmal das Wesentliche aus dem Blick verliert.

Factfulness: was Menschen gemeinsam erreichen

Der schwedische Professor Hans Rosling hat in seinem 2018 posthum erschienenen Buch Factfulness – Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist eigentlich nur die großen Linien der gesellschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten nachgezeichnet, und zwar anhand von unzähligen offiziell erhobenen und allgemein zugänglichen Statistiken.

Doch nur wenige dieser Statistiken scheinen in unsere kollektive Wahrnehmung der Welt eingegangen zu sein. Nur so lässt sich erklären, dass die Ergebnisse so in Erstaunen versetzen. Gerade für jene, die regelmäßig die Nachrichten verfolgen und sich bewusst informieren, hält Factfulness einige Überraschungen bereit. Ein Selbsttest gleich zu Beginn bietet eine gute Gelegenheit, die eigenen Überzeugungen zu überprüfen.

Wo die Menschheit als Ganze in ihren Bemühungen bei der Bekämpfung von Armut, Analphabetentum, Seuchen und Klimawandel wirklich steht und was die Anstrengungen der letzten Jahre geändert haben und was nicht, sollte eigentlich die Basis bilden für unsere Sicht auf die Welt, auf ihre drängendsten Probleme und die Maßnahmen, die zu ergreifen sind. Und etwas Vertrauen in die kollektiven Fähigkeiten der Menschheit zur Problemlösung schadet auch in coronafreien Zeiten nicht. 

Im Grund gut: wie Menschen sind

Der niederländische Autor und Historiker Rutger Bregman geht die Sache in seinem im Original 2019 erschienenen Buch Im Grunde gut – Eine neue Geschichte der Menschheit von einer anderen Richtung an, nämlich vom einzelnen Menschen.

Anhand von zahlreichen Quellen, die verständlich und unterhaltsam aufbereitet sind, zeigt er argumentativ schlüssig, wieso die jahrhundertelang gepflegte und in vielen Varianten weiterentwickelte Erzählung vom „Mensch als des Menschen Wolf“ (Thomas Hobbes) nichts anderes ist als ein Ammenmärchen. In Wirklichkeit ist der Mensch seinem Wesen nach nämlich keine brutal-böse Bestie, die nur durch gesellschaftliche Zwänge eingehegt werden kann, sondern ein auf Kooperation und Empathie ausgerichtetes und angewiesenes Lebewesen.

Bregman zeichnet seinen eigenen Weg zu dieser Erkenntnis nach und geht dabei auch umfassend auf Widersprüche und Gegenargumente ein. Schließlich kommt er auch auf die weitreichenden Folgen zu sprechen, die eine neues, optimistischeres und damit gleichzeitig realistischeres Bild vom Menschen auf zahlreiche Lebensbereiche haben könnte: von der Schulbildung bis zum Justizvollzugssystem, von der Armutsbekämpfung bis zur Arbeitswelt.  

Realistisch optimistisch

Nicht allen Menschen fällt es leicht, in herausfordernden Zeiten wie diesen optimistisch in die Welt zu blicken. Tatsächlich gibt es einige große Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Doch gerade in diesen Zeiten gilt: Wenn wir darüber nicht verrückt werden wollen, sollten wir beim Blick auf unsere Welt und unsere Gesellschaft auch die positiven Seiten nicht vergessen – und dafür auch nicht die positiven Bücher.

Hans Rosling, mit Anna Rosling Rönnlund und Ola Rosling: Factfulness – Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist (2019)

Rutger Bregman: Im Grunde gut – Eine neue Geschichte der Menschheit (2020)